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Schlafserie #2 – Arten des Schlafmangels und die Folgen dessen

Die drei hauptsächlich in dem vorherigen Artikel erläuterten Gründe warum wir schlafen waren folgende:


  1. die neurophysische Regeneration, unter anderem mittels der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit,
  2. die psychische Regeneration und Strukturierung, mittels der Konsolidierung und Aussortierung von Gedanken, Emotionen und Lerninhalten
  3. und die physische Regeneration und Adaption.


Ein Schlafdefizit hat Auswirkungen auf all mit diesen Bereichen in Zusammenhang stehenden Prozesse, auf welche wir hier näher eingehen werde.


Vorher gilt es jedoch sich mit den Arten des Schlafmangels auseinanderzusetzen, da je nach Art bestimmte Interventionen sinnvoller als andere sind.


Die drei Arten des Schlafmangels

Folgende drei Arten des Schlafmangels gibt es1


  1. Die erste Art ist die Schlaffragmentation, welche durch eine physiologische Verhinderung des Durchschlafens entsteht. Dies kann verschiedene Ursachen haben, welche zum Beispiel neurologischer Natur sind oder durch eine Mundatmung hervorgerufen werden. Ersteres ist meist nur in einem professionellem Schlaflabor herauszufinden und behandelbar, wobei letzteres oftmals zu großen Teilen selbst verbesserbar ist. Spätere Artikel gehen näher auf Fragmentation hervorrufende Substanzen, sowie auf Lösungsansätze ein.


  1. Die zweite Art ist ein Verlust einer oder mehrerer physiologischen Schlafphasen und entsteht meist durch eine Fragmentation, welche sich nur auf eine bestimmte Phase bezieht. Diese Fragmentation kann wie oben erklärt verschiedene Ursachen haben und ist sobald es zu einem völligen Verlust der Schlafphase kommt meist nur mit professioneller Hilfe reversibel.


  1. Die dritte und häufigste Art des Mangels ist die Restriktion des Schlafes. Dies sind die sogenannten „Schlafschulden“, welche sich durch spätes Zubettgehen oder chronisch zu frühem Aufwachen akkumulieren. Diese Gründe sind meist behandelbar und das später im Newsletter vorhandene Schlaf-PDF enthält die wichtigsten und einflussreichsten Handlungsempfehlungen zum Entgegenwirken dieser Restriktion, sowie zur Verbesserung der Schlafqualität.


Diese Mangelarten betreffen alle körperlichen und geistigen Bereiche, wie u.a. die Funktionalität des Hormonsystems, des Immunsystem oder des kardiovaskulären Systems. Sobald die Funktion dieser Systeme eingeschränkt ist und zudem noch die Fähigkeit der Regeneration oder des Aussortierens von Informationen fehlt, bricht unser Organismus regelrecht zusammen. Zwar ist der sehr komplex funktionierende Körper in der Lage über eine gewisse Zeit bestimmte Umstände zu kompensieren, doch ich glaube Sie haben sicher schon einmal selber zu spüren bekommen, wie enorm eingreifend Schlafmangel in das Leben ist und wie wenig Schlafmangel dafür ausreicht. 


Weitere Implikationen des Schlafmangels

Schauen wir uns nun einige weitere ausgewählten Gründe an, welche Sie davon überzeugen sollte, warum das Beheben dieses Mangels unumgänglich ist:


  • Schlaf ist essentiell für die Fähigkeit des Filterns von relevanten und irrelevanten Informationen. Da unser Gehirn täglich einer unbeschreiblichen Masse an Reizen und Informationen ausgesetzt ist, ist es überlebenswichtig diese Filterfähigkeit zu besitzen. Zwei wichtige Netzwerke für diese Aufmerksamkeits- und Perzeptionsaufgabe sind zum einen das Ruhezustandsnetzwerk und das frontoparietale Netzwerk, welche beide eine Gruppe an Gehirnregionen darstellen. Herrscht eine Beraubung des Schlafs, so resultiert dies in einer verminderten Aktivierung und Verbindung der den Netzwerken inne liegenden Regionen und Neuronen. Dies führt zu einer stark eingeschränkten Aufmerksamkeit und mündet in beschnittenen kognitiven Fähigkeiten. Diese durch unzureichenden Schlaf ausgelöste Kaskade kann somit zum Beispiel eine schlechtere Nahrungsmittelauswahl oder eingeschränkte verbale Fähigkeiten mit sich bringen. Zudem verringert sich das Arbeitsgedächtnis, wie auch die exekutive Funktion des Gehirns. 


  • Apropos Nahrungsmittelauswahl und Hunger: Die beiden korrelierenden „Hungerhormone“ oder „Hungerpeptide“ Ghrelin und Leptin sind maßgeblich negativ durch lang- und kurzfristigen Schlafmangel beeinflussbar8. Unzureichender Schlaf hat verminderte Leptinlevel zur Folge. Leptin signalisiert dem Hirn, dass wir genug Nahrung zu uns genommen haben und lässt unser Hungergefühl verschwinden. Wenn Leptin vermindert wird, passiert das Gegenteil und der Körper möchte mehr Energie zu sich nehmen, um nicht einen Gewichtsverlust zu erleiden. Andersherum funktioniert Ghrelin, da ein Vorhandensein dieses Hormons den Hunger stimuliert. Eine Minderung der Schlafdauer zeigt einen Anstieg von Ghrelin. 


  • Jede bisher bekannte chronische Krankheit geht direkt oder indirekt mit einem Mangel in ausreichendem Schlaf einher bzw. ist mit diesem in Verbindung zu bringen. Diese resultieren u.a. aus chronischen Entzündungen, welche einen hauptsächlichen Faktor moderner Krankheiten darstellen. Diese Entzündungen werden zum Beispiel durch das Hormon Cortisol in Schach gehalten, welches in Personen mit zu wenig Schlaf entweder dysfunktional ist oder aufgrund einer entwickelten Cortisolresistenz seiner positiven Rolle nicht nachgehen kann. Der durch den Schlafmangel entstehende körperliche Stress führt somit zwar zu den Problemen eines zu hohen Cortisolspiegels, leider aber nicht zur Bekämpfung der Entzündungen. Viele weitere Mechanismen, wie der angesprochene Abbau von Stress oder die Regulation und Restauration des Metabolismus unterstützen den gezielten, nicht zu starken und nicht willkürlich vorkommenden Einsatz von hilfreichen Entzündungen. 


Dies macht Schlaf zu einer der potentesten Maßnahmen bei der zunehmenden Epidemie an chronischen Krankheiten, welche nicht nur als Behandlung bei Krankheitszuständen relevant ist, sondern auch präventiv für jung und alt ist.


Hinzuzufügen ist, dass diese chronischen Entzündungen im Zusammenhang mit der Masse an Körperfett stehen. Fettgewebe selbst setzt Hormone frei, von welchen die meisten Endzündungen hervorrufen. Etwa 80% aller bisherigen Studien über die Korrelation von Schlafmangel und Übergewichtigkeit zeigen einen positiven Zusammenhang und im Mittel kann schon ein chronisches Schlafdefizit von nur einer Stunde pro Tag ein 55% höheres Risiko der Übergewichtigkeit mit sich bringen.


Infografik aus dem Buch: Why We Sleep
Infografik aus dem Buch: Why We Sleep 9


Schlafmangel ist somit wie ein Rohrbruch Zuhause. Es durchnässt jede einzelne Spalte der gesamten Physiologie und wirkt sowohl auf der Makroebene, also auch auf der Mikroebene. Er beeinflusst sowohl komplexe Krankheiten, das Wohlempfinden, Führungsqualitäten oder das Aussehen, als auch interzelluläre Mechanismen oder die Phosphorylierung.


Ein Schlafmangel ist also immer etwas Negatives, auch wenn das Wasser (um bei der Rohrbruch Analogie zu bleiben) manchmal nur tropft und nicht literweise strömt.

Zusammenfassung:

  1. Der Schlafmangel lässt sich in folgende Arten unterteilen: Schlaffragmentation, Verlust einer oder mehrerer Schlafphasen und Restriktion. Je nach Art des Mangels entscheiden sich die zu unternehmenden Interventionen.
  2. Ein chronischer Schlafmangel beeinflusst die lebensbestimmende Filterfunktion negativ. Diese ist bestimmend für die Aufmerksamkeitsfähigkeit und kognitiven Fähigkeiten, wie das Arbeitsgedächtnis, die exekutive Funktion des Gehirns oder verbale Fähigkeiten. 
  3. Neben einer verschlechterten Nahrungsmittelauswahl resultiert Schlafmangel in einem Hungerhormonprofil, welches zu einer höheren Energieaufnahme führt.
  4. Schlaf ist entscheidend für den Umgang des Körpers mit Entzündungen chronischer und akuter Natur. Schlafmangel verhindert eine funktionale Regulation des Cortisolspiegels, sowie einer Vielzahl entzündungshervorrufender Stoffe. Außerdem wirkt er einen Stressresistenz entgegen. 


Quellen

7. Behavioral and Physiological Consequences of Sleep Restriction. Siobhan Banks and David F. Dinges, Journal of Clinical Sleep Medicine, 2007 Aug (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1978335/)


8. Short Sleep Duration Is Associated with Reduced Leptin, Elevated Ghrelin, and Increased Body Mass Index. Shahrad Taheri, et al., PLOS Medicine, 2004 Dec (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC535701/)


9. Why We Sleep: Unlocking the Power of Sleep and Dreams. Matthew Walker Ph.D., Penguin Random House, 2017 Oct (https://www.sleepdiplomat.com/author)



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